MARTIN MÖHWALD I MARTIN MINDERMANN I MARTIN NEUBERT

MMMMMM – Keramik in der Zeitkunstgalerie Halle

Eröffnung am 13. April 2024. Eröffnungsrede von Helmut Brade.

Kerameikos: „aus Ton gefertigt“, griechisch; Kerameikos, auch ein Stadtteil des antiken Athen, das Töpferviertel; China, Chu-Dynaystie 1122-255 vor unserer Zeitrechnung . . . und nun Halle an der Saale, Keramikerstadt des Ostens mit einem Gast aus Bremen, Vertreter japanischer Traditionen.

Erde, Wasser, Feuer, . . . archaischer geht es nicht. Zauberei, Handwerk, Inspiration . . . vielleicht sogar Kunst. Die Werke sprechen für sich. Die Künstler sind anwesend. Hier ein paar „Fußnoten“.

Natürlich ist die Technik Raku in Halle nicht unbekannt. Aber einen wahren Raku-Meister gibt es hier nicht. Martin Mindermann kommt aus Bremen, er signiert bescheiden mit zwei kleinen m. Seine Formen sind einfach, zumeist sind es gebaute Gefäße. Dem Feuer ausgesetzt werden sie glühend, er holt sie glühend heiß aus dem Ofen und besprenkelt sie mit Holzspänen, die in Flammen aufgehen und zu Asche werden. Langsam erkaltet und gereinigt zeigt sich ein erstaunliches Ergebnis; durch jahrelange Erfahrung gezielt hervorgebracht, alles geheim, individuell, einmalig. Im Erkalten reißt die Glasur, es bildet sich ein feines Craquelé aus schwarzen Rissen, lebendig, ornamental, aufregend. Und das ist nicht alles. Nun kommt eine japanische Tradition zur Anwendung, die Betonung der Sprünge mit Blattgold, eine Anleihe aus der Kultur des Kintsugi. Jedes Werk ein Einzelstück, ein Individuum, das, so vermute ich, lebenslang von seiner ungewöhnlichen Erschaffung erzählt. Martin Mindermann ist keineswegs ein heimlicher Zauberer im düsteren Keller in Bremen. Er ist weltweit vernetzt durch Symposien und Ausstellungen in Europa, Venezuela, Korea, Südafrika.

 Es ist überhaupt so, dass die großen Keramiker weltweit denken und auch arbeiten. Sie kennen sich, sie treffen sich, sie wissen sehr gut voneinander. Es gibt die europäischen Wurzeln, das antike Erbe, auch das arabische, umso mehr das chinesische; aber auch Amerika ist ein Land der Keramik. Und einen besonderen Kenner dieser Szene haben wir erfreulicher Weise unter uns: Martin Möhwald. Er weiß selber nicht mehr, wie oft er in den Vereinigten Staaten war, an vielen Orten, in vielen Werkstätten, bei wirklichen Freunden. Er ist weit bekannt, aber erst recht ganz nah. Er hat es geschafft, sich in Generationen von Teetrinkern einzuschmuggeln und deren Lebensstil mit einfachen keramischen Möglichkeiten zu verändern. Es ist ja bekannt, selbst Menschen, die Halle verlassen mussten, wenigstens die Möhwald-Kanne mitnahmen, die Teeschälchen sowieso. Es ist eben nicht ein flüchtiger Museumsbesuch, der ihn bekannt gemacht hat, es ist die heimliche tagtägliche Integration ins häusliche Leben, die ihm gelungen ist. Seine Werke müssen nicht aufwendige Kunstwerke sein, es genügt, dass sie schön sind und sehr gut funktionieren. Es ist eben so, die Kannen tropfen nicht, aus was für einem geheimen Grund auch immer. Die Dekorationen sind vielfältig, das Kleinkarierte geht besonders schwer zu machen. Er hat keine Hochschule besucht, das stimmt aber auch nicht ganz genau, denn er hatte eine Mutter, die ihm Lehrerin war, ohne dass er es gemerkt hat, Sinn und Form, ohne dass er sie nachgemacht hätte. Längst ist er eigene Wege gegangen, ein Handwerker und Künstler voller Meisterschaft und Formgefühl.

Er zeigt heute hier auch frühe Werke. Sie zeichnen sich aus durch kraftvolle Formen und sehr freie Dekoration. Es sind repräsentative Stück, nicht ganz so „häuslich“. Er kann große Stücke von Hand drehen, man kann es nur bewundern. 

An der Burg in Halle studiert hat dagegen Martin Neubert, der sich wegen des Titels der Ausstellung den Namen seiner Frau erschlichen hat: Martin Mania. Er beschränkt sich nicht mit Teeschälchen. Irmtraud Ohme und Gertraud Möhwald waren seine Gutachterinnen beim Diplom; da ahnt man schon, dass er Dinge im Sinn hatte, die nicht unbedingt zum Gebrauch bestimmt sein sollen. Er macht zumeist gebaute Gefäße, die aber Plastiken sind. Sie sind keinesfalls klein oder niedlich, sondern anmaßend und bedeutend. Hier muss man also anders herangehen, wenn man ihren Charme und ihre Größe begreifen oder erfühlen will. Volumen, Form, Farbe, Struktur . . ., das sind die Bausteine seiner keramischen Welt, die, wie wir hier sehen können, viele Gestalten annehmen kann. Sein Spieltrieb hat auch einen ausgesprochenen Sinn für skurrile Dinge, die nicht im engeren Sinn Keramik sein müssen. So zum Beispiel seine kerzenbetriebenen Mobile, die Bewegung ins Spiel bringen. Sein Atelier ist eine wahre Wunderkammer gefundener, geschaffener unvollendeter Dinge. Mit ihnen kann und muss man leben, sie wird man liebgewinnen, man wird sie besitzen wollen. Er kennt die Welt und die Welt kennt ihn. 

Wir haben heute das Glück eine besondere und aufregende Ausstellung zu sehen. Dafür muss man der Zeitkunstgalerie ausdrücklich danken. Es wird deutlich, dass in einer Zeit, wo in der sogenannten Bildenden Kunst eine internationale Ratlosigkeit überwiegt, Keramik ein im wahrsten Sinne des Wortes geerdetes und sinnvolles Gegengewicht zu mancherlei Quatsch sein kann.

 Also noch einmal vielen Dank. 

Zum Schluss erinnere ich noch an einen anderen berühmten MM: Michel de Montaigne. Bereits 1588 hat er für Einfachheit und Schlichtheit plädiert. Ich will, dass man mich in meiner einfachen, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Berechnung und Künstelei; denn ich bin es ja selbst, was ich mach. Meine Fehler wird man schonungslos verzeichnet finden, alle meine Unvollkommenheiten und meine natürliche Sinnesart: soweit es die Achtung vor dem Publikum nur irgend verstattete.. „

 

 

 

 

 

 

Der Keramiker Martin Möhwald ist ein ganz Großer der zeitgenössischen Keramik.

Möhwald ist Mitglied einer künstlerisch hochbegabten Familie:

Sein Vater Otto Möhwald war Maler, seine Mutter Gertraud Möhwald, wie er, Keramikerin, ein Neffe ist ein bekannter Schriftsteller. Um die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in

Halle lebt ein Kosmos kreativer und erfolgreicher Künstlerinnen und Künstler. Möhwald, einer von ihnen, hat sein Atelier in der Burgstraße 57, einen Steinwurf von der Hochschule entfernt. Er ist dieser Stadt treu geblieben: vor und nach 1989, kehrte er von Symposien und Einzelausstellungen, die ihn unter anderem in die USA, nach China und Curaçao führten stets zurück und schuf seine einzigartigen Keramiken: Teekannen und Schalen, Vasen, Krüge. Er sagt: „Oft lasse ich meine Werkstatt so aussehen, also ob ich verreist bin. Ich will ja arbeiten.“

Was zeichnet seine Arbeiten aus? Möhwald macht Kunst, die alltagstauglich und schön für Sonn- und Feiertage ist. Seine Arbeiten sind zugleich auch Gebrauchsobjekte. Das mag auch daran liegen, dass er von 1970 bis 1972 seine Ausbildung zum Scheibentöpfer in den von Hedwig Bollhagen geleiteten HB-Werkstätten für Keramik in Marwitz absolvierte. Er schöpft allerdings keine Massenware, kein Stück gleicht dem anderen.

Einer seiner gestalterischen Wege liegt in der Verbindung graphischer Elemente mit den keramischen Objekten. So hat Möhwald eine Umdrucktechnik entwickelt, die es ihm erlaubt, Gedrucktes – Bilder, Muster, Schriftzeichen, Typographien – auf den Ton und unter die Glasur zu bringen. Dabei ist er graphisch-malerisch unterwegs. Seine Vasen und Teller erzählen stumme Geschichten – es sind darauf Bildspuren, meist Fragmente nur, die die zu lesen sind,auf Wege führen, der Erinnerung und Assoziation.

Leuchtend. Farbig. Expressiv.

Raku von Martin Mindermann

Martin Mindermann ist international renommierter Keramikkünstler, der die alte japanische Raku-Technik aus dem 16. Jahrhundert völlig neu interpretiert hat und spannende eigene Ansätze verfolgt. Sein Augenmerk liegt vor allem darauf, eine ästhetische Symbiose zwischen der äußeren Form und der Oberfläche – der aufwändig gestalteten Glasur – zu entwickeln. Seit 2005 arbeitet Mindermann im eigenen Atelier in Oyten.

 

VITA

1977 bis 1980 Ausbildung zum Maler

1984 bis 1990 Studium an der Hochschule für Künste, Bremen

1994–2005 Beteiligung Ateliergemeinschaft Altes Pumpwerk, Bremen

2003 Lehrauftrag an der Hochschule für Künste, Bremen

Seit 2013 Lehrauftrag der Staatlichen Keramikschule, Landshut

Martin Neubert, 1965 in Kleinmachnow geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Töpferlehre im thüringischen Bürgel. Von 1988 bis 1993 studierte er an der halleschen Kunsthochschule im Fachgebiet Keramik. Er ist seit 1993 freiberuflich tätig und lebt und arbeitet seit 2004 in Weimar. Stipendien und Einladungen führten ihn nach China und New York, er leitete Keramiksymposien in Saalfeld und Halle und 2004 die Werkstattwochen in der unweit von Magdeburg gelegenen Ziegelei Hundisburg und war Teilnehmer am Steinbildhauersymposium in Tangermünde. Er hatte Lehraufträge an der Fachschule für Technik und Gestaltung Hermsdorf, der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle und der Bauhaus Universität Weimar. Martin Neubert realisierte mehrere großformatige Plastiken im architekturbezogenen Kontext.

Die Liste seiner Ausstellungsbeteiligungen und Personalausstellungen – zuletzt mit Plastiken und Collagen in der galerie b15 in München – ist umfangreich. Mit seinen Arbeiten ist er in zahlreichen Museen und Sammlungen in Deutschland den USA vertreten.