Der Leipziger Künstler Rainer Henze ist Metallbildhauer und freier Grafiker. Er lebt und arbeitet in Halle an der Saale. Zahlreiche Ausstellungen präsentieren seine Arbeiten. Er hat viele Skulpturen im öffentlichen Raum gestaltet und wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet.
Seine detailreichen Radierungen, oft mit Prägedruck kombiniert, zeigen Mensch und Tier in mythischen Traumwelten – und immer wieder das Thema Mann und Frau. (PGM)

1952 in Leipzig geboren
1959-71 Schulbesuch in Halle, Abitur
1973-78 Studium an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle, Burg Giebichenstein, heute Hochschule für Kunst und Design , im Fachbereich Metallgestaltung, Diplom
seit 1979 freiberuflich als Metallbildhauer und Grafiker tätig
seit 1991 Werkstattgemeinschaft mit Cornelia Weihe, Friedemann Knappe und Thomas Leu
1991 Kunstpreis Wesseling
1995-96 Lehrtätigkeit an der Hochschule für Kunst und Design, Halle

Die Rede zur Eröffnung von Rainer Henze.

Liebe Jutta Wittenbecher, lieber Thomas, liebe Gäste,

2019 standen wir hier an gleicher Stelle. 4 Jahre sind vergangen und es ist wohl inzwischen nichts mehr so, wie es vor 4 Jahren war.

Dennoch oder gerade deshalb: Gratulation an Euch, dass es die Galerie noch gibt.

Ich hatte reichlich Zeit, diese Ausstellung vorzubereiten:  Ein ordentliches Konzept zu finden, zu arbeiten, zu planen.

Und Soooo hatte ich mir das auch vorgenommen, doch vieles wurde inzwischen durcheinandergewirbelt, unerwartet, heftig und vor allem völlig planlos ….

Schließe ich mich also dem Trend der Zeit an: Planlos und durcheinander, diese Ausstellung- ein Sammelsurium!

Schiffe, Uhren, Kristalle, fliegende Fische und Pegasuspferde, Rettungsschirme, Köppe, Totenschädel sogar….

Und nun auch noch Worte…, ein etwas sprunghafter Text:

Zum Glück gibt es ordnende Kräfte, auch in chaotischen Zeiten: 

Frühlingserwachen, das weinlaubbeschattete Sommerlicht auf meinem Balkon, Krokusse und Kuckuckslichtnelken, Meisen und Sperrlinge streiten am Futterhaus, Baukunstwettbewerbe, die Leipziger Grafikbörse, die Grafikbücher von Gerhild Ebel, Bestände angearbeiteter Artefacte in verstaubten Kellerregalen, Blechabschnitte, das abendliche Gläschen Rotwein, die Flucht in die Einsamkeit meiner Skizzenbücher…

Und es gibt die Seerosenbetten im Dollbeck, den blauen  RZ- Reisezweier,  den Harz und auch die Olivenhaine am Mittelmeer, Meeresrauschen und kleine Salzpyramiden, die „Franzigmark“ und die Porphyrkuppen dort im harschen  Herbstwind oder auch im Schneewinter vor 2 Jahren und manchmal auch noch etwas höhere  Berge…

„In den Zeiten des Verrats sind die Landschaften schön“, schrieb der Dramatiker Heiner Müller.

„Kristallsäulen“ – wenn die nun schon einmal die Einladungskarte schmücken, fange ich mal damit an.

Ein Hallescher Baukunstwettbewerb, wie man wohl ahnt.

Die sprudelnde Quelle der Salzsole, welcher die Stadt Halle ihre frühe Wohlhabenheit verdankte, ist zunächst nur eine wässrige, bräunliche Brühe. Nur gleichnishaft  also sollen und können die Kristalle auf das Hallesche Salz und auf das Salinemuseum hinweisen.

Da stehen sie nun vor dem Salinemuseum, hier aber, in  der Galerie, stehen die fünf Teile, welche die Grundlage  für meine Entwurfs- Fotomontage waren. Modelle waren zum Halleschen Skulpturenwettbewerb ja nicht zugelassen. Und es stehen hier außerdem zwei Varianten von Kristallformen, welche ich später, aus Abschnitten der originalen Freiraumarbeiten,  gebaut habe.  „Zufallsentwürfe“ –  Rein schweiß- und schleiftechnisch herausfordernde Objekte, die mir so normalerweise „nicht angetan“ hätte…

Was bringt so ein Auftrag noch: Ich durfte jeden Tag sehr zielgerichtet in meine Werkstatt „zur Arbeit“ gehen, so wie das ganz normale Leute tun. Wochen im Blaumann, der mir noch immer gut passt. Ablenkung von der Welt….

Hinterher dann ist man reich- an neuen Erfahrungen, von denen man nicht alle machen muss und die nicht nur positiv oder gar erwähnenswert sind.

Doch es gab auch beglückende Begegnungen, z.B. mit den Ingenieuren und Metalltechnikern  in Rostock, die mir mit Einfühlungsvermögen, Sachkenntnis und mit Hochtechnologie die Grundkörper der Stelen  gebaut haben, mit einem kooperativen Statiker, einem pragmatischen Bauleiter und einigen Helfern mehr.

Und: es ist geschafft! Die „Kristallsäulen“ gehören „öffentlich“ nun – Ihnen allen!

Fundstücke aus meinem Keller: Kartons voller Modellbaufragmente, noch immer lagern hier Kisten voller Alutäfelchen mit kleinen Reliefs. Viele kleine Keramikkugeln und einige Kachelplatten liegen herum – das Bitterfelder Werk, in dem ich die Teile vor Jahrzehnten gebrannt hatte, ist längst abgerissen. Gritta Götze hatte für die Kantine dort eine wunderbare Kachelwand gemacht, das war ihre Diplomarbeit.

Reichlich hatte ich, wohl aus Spaß an der Freude, von all diesen kleinen Dingen, wie den Kügelchen,  angefertigt, immer mit dem Ziel, „später“ noch einmal daran weiterzuarbeiten.

Worauf warte ich? Wann ist das  eigentlich „später“, oder liegt dieses „später“  inzwischen bereits längst in der Vergangenheit?

Der kleine Schädelkasten ist von 1985: Seinerzeit sah ich einen Filmbericht über die Feiern zum Tag „Dia de los muertos“ in Mexiko. Einmal im Jahr kommen, so der Altmexikanische Glauben, die  Ahnen  zum Besuch aus dem Jenseits, um ein fröhliches Wiedersehen mit  den Lebenden bei Tanz, gutem Essen und Wein zu feiern. Ein so anderer Umgang mit den Verstorbenen, so fand ich das damals als eher noch junger Mensch, vor fast 40 Jahren!

Als Jean Tinguely 1991 zu Grabe getragen wurde, folgte seinem Sarg der »Klamauk«. Scheppernd und klirrend, knarrend und rauchend fuhr im schweizerischen Fribourg  der zur mobilen Schrottplastik ausgebaute Traktor seinem toten Erfinder nach. So hatte es der Künstler anderthalb Jahre vor seinem Tod selber bestimmt.

Nach einem ausgefüllten Leben hat er uns allen wahre  Schätze hinterlassen!

Der kleine Tonpanzer von 1982: Den habe ich damals in einer langen Nacht vor einer Nach- Nach- Musterung zum Armee-Reservedienst geknetet. 

Abreaktion: eine zerbrechlich- lächerliche Penisverlängerung für alle männlichen Männer in ordensgeschmückten Uniformen.

Hier steht er nun wieder:  in symbolisch- traurigem Zusammenhang. Ein  Krieg in Europa-  unvorstellbar- und doch seit über einem Jahr in fürchterlicher Brutalität wahr.

Diese Barbarei, dieses Grauen machen hilflos.

Soll man allen Soldaten an der Front ganz naiv zurufen:

„Seid einfach nur feige, haut ab, versteckt Euch im Heuhaufen!“

Oder an die Vernunft der Weiber glauben, die sich Ihren kriegerischen Männern so lange sexuell verweigern werden, bis sie den Frieden endlich erzwungen haben?

Das hat ja bereits 400 vor Christus in Athen und Sparta funktioniert, doch leider nur im

Aristophanes – Stück Lysistrata.

Und nirgendwo auf der Welt steht dieses Stück ganz oben auf den aktuellen Plan des Literaturunterrichts….

 

Vor dieser  Realität abhauen, abtauchen in Skizzenbücher,  wenn auch erst nach den Spätnachrichten, erst nach Mitternacht.

Die Skizzenbücher füllen sich- ich schließe den Alltag einfach zwischen den Pappdeckeln weg.

Immerhin, ich kann später hineingreifen. Ich finde dort auch grob gefasst die Vorlagen mancher Grafik für die Leipziger Grafikbörse – Veranstaltungen.

Ich möchte es doch einmal erwähnen: Es gibt sie in Leipzig noch, Kollegen, die regelmäßig eine große Ausstellung mit noch immer handgemachten Drucken für andere Kollegen organisieren. Ich mache gern mit und einige der Blätter, die hier hängen, sind -auch- für die Grafikbörse entstanden.

Ein Skizzenbucheintrag:

Einladung von Gerhild Ebel zum nächsten Buchprojekt: wunderbare Kontinuität! Wie habe ich zunächst gezweifelt, bei ihrer ersten Einladung meine Zusage zu geben: Brotlose Kunst, wir alle haben davon doch ohnehin im Übermaß!

Nun profitiere ich seit Jahren von Gerhilds Fleiß und Beharrlichkeit. Es sind unter Ihren Händen bemerkenswerte Dinge entstanden und jene haben ihren Platz in guten Sammlungen gefunden…

Nun also K = Kopf – welche Freude!

Seit Jahren fertige ich für Gerhilds Künstlerbücher- im erwähnten Fall eine Art von Bilderlexikon-  regelmäßig Blättchen, Prägedrucke.  In meinen Ausstellungen sind sie weniger zu sehen, weil sie schwer auszuleuchten sind.  Präge- Köpfe waren es in diesem Jahr, ich habe dann mit radierten „Köppen“ noch eine Weile weitergemacht.  Drucken ist ein Abenteuer, meinte Grieshaber und  so ist es bis heute geblieben.

Fliegende Fische- na klar, der Gundermannfilm von Matthias Dresen.  Kohle baggern, Lieder und Texte – und natürlich die Widersprüche der Zeit und der Hauptfigur werden mit-reißend abgehandelt.

Es gibt auch den stillen Dokumentarfilm „Revier“ über Gundermann, der weniger sensationell daherkommt, viele Originalmitschnitte enthält. Der wurde von Grit Lemke wesentlich unaufgeregter und einfühlsamer gedreht. Dieser Film hat für mich die größere Tiefe.

Die Lieder und Texte Gundermanns werden ihre manchmal auch schroffe und spröde Einzigartigkeit, auch den Geruch nach Braunkohle, von dem alte Hallenser noch wissen, behalten. Ich werde mich weiter um diese Lieder kümmern müssen….

 „Zeit“ – ein kompliziertes Thema. Stattdessen doch einfach nur noch mal Uhren. Ich erinnerte mich daran, dass der Maler Dieter Zimmermann und der Grafiker Jürgen Friedrich so um 1970 in der Burg Lithosteine gemeinsam mit Uhrenmotiven  bezeichnet haben. Gemeinsam- einsam, d.h. in Manier der Dadaisten, haben sie je die halbe Seite des Blattes bezeichnet – die Seite mit der Zeichnung des jeweils anderen war immer abgedeckt.

Und „geklaut“ habe ich nicht nur das Motiv der Uhren, sondern auch Da-da. Gemeinsam mit Christine (Dockhorn)  habe ich in dieser Manier eine Blattserie zu einem kleinen Text des Gitarristen Josa begonnen, die wächst…Vielleicht ist das schon ein kleiner Hinweis auf irgendeine spätere, Ausstellung?

Zeichnungen als „Altlasten“? : Es geht ja auch anders, MDR- Kultur stellt  Januar 2023 eine junge Künstlerin vor, Burg Absolventin mit bereits zahlreichen Ausstellungen. Eines ihrer Werke: Eine Uhr, garniert mit dem Wörtchen „Fuck“. Voller Bewunderung kommentiert die Kommentatorin.

Ich selbst zeichne damals gerade an meinem dritten oder vierten Wecker, bin immer noch etwas ungelenk und hilflos, im Kopf habe ich immer etwas anderes als das, was dann auf dem Papier entsteht…

Was sonst noch? Rettungsschirme natürlich, es werden derer immer mehr und sie werden immer löchriger, man kann also nicht genug davon haben…?  Irgendwann hat man dann unendlich viele davon, nur noch klapprige Drahtgestelle ohne Stoff, Blitzableiter vielleicht wenigstens –  oder doch eher Käfige, ich will das so nicht weiterdenken….

Also lieber gute Wünsche – gute Wünsche braucht man vielleicht wirklich und auch davon gibt es oben eine knappe Wand voll…

Und natürlich:  weitermachen.

»Jemand setzt sich zur Aufgabe, die Welt abzuzeichnen. Im Laufe der Jahre bevölkert er einen Raum mit Bildern und Provinzen, Königreichen, Gebirgen, Buchten, Schiffen, Inseln, Fischen, Behausungen, Werkzeugen, Gestirnen, Pferden und Personen. Kurz bevor er stirbt, entdeckt er, dass dieses geduldige Labyrinth aus Linien das Bild seines eigenen Gesichts wiedergibt.« Jorge Luis Borges

Ganz in diesem Sinne gibt es einen kleinen Kopf-Druck als Sondergrafik, hängt oben an der Säule…

Die kommenden Jahre werden ja nicht nur meinem eigenen Gesicht einiges an Furchen, Narben und Falten hinzufügen. Ich wünsche mir sehr, dass in jedem Fall auch die eine oder andere Lachfalte dabei sein wird….

Und

Ihnen wünsche ich heute ein wenig Anregung und Freude und auch Ablenkung in dieser kleinen Ausstellung, danke.